Seit meinem letzten Beitrag über die Nordhessen-Metropole aus 2019 hat sich etwas getan. Zeit, einen neuen Artikel dazu zu schreiben.
Kassel als Stadt hat etwas. Ein bisschen altmodisch, ein bisschen kompliziert, ein bisschen morbide. Das ist nicht böse gemeint, sondern Tatsache. Wer in die Seitenstraßen schaut steht oft unvermittelt vor einer Ruine. Die Reste aus 1945 sind im Stadtbild deutlich zu erkennen.
Wer im Kulturbahnhof ankommt steht eigentlich auf einem Hohlkörper, denn unter dem Bahnhof fährt die Regiotram in die Innenstadt. Der ist untertunnelt, weshalb schon einige Bahnsteiggleise im Tiefparterre liegen und einen Eindruck auf den kommenden Stuttgarter Hauptbahnhof mit Gefällelage vermitteln. Wer sich die Gleislage in diesem Abschnitt anschaut versteht warum ich oben „kompliziert“ geschrieben habe. Der Tunnel kommt vor dem Bahnhof inmitten der Kurfürstenstraße heraus und mündet auf den Ständeplatz.
Das Verkehrskonzept ist im Umbruch. Eigentlich will man hier wie dort weniger Autos in der Innenstadt haben. Die Straßen sind aber seit den 1950er Jahren wie Stadtautobahnen angelegt und können nicht kurzfristig geändert werden. Darunter leidet auch die Tram. Der fehlt es oft genug am nötigen Platz.
Die Stadt liegt weitgehend am Hang des Habichtswaldes zwischen Wilhelmshöhe und Fuldaaue. Zwischen beidem kann man hin und her fahren. Mit dem Auto zum Herkules, oder mit der Tram zum Bergpark. Alles eine Frage der Kondition. In der anderen Richtung endet die RT5 am Auestadion, das vorne mitten in der Stadt liegt, hinten aber Anschluss an den Staatspark Karlsaue bietet. Die Karlswiese ist vom Friedrichsplatz aus nicht zu sehen, sie liegt drei Stockwerke tiefer. Hinter dem Stadion liegen Aueteich, Schwaneninsel und Bugasee. Ein umfangreiches Feuchtbiotop inmitten der Stadt. Da kann man nicht nur am Fuldaufer vergessen, wo man ist. Erreichbar ist dieser Teil weitgehend nur zu Fuss, nicht wie in München, wo der Stadtbus den Englischen Garten durchschneidet und vor dem Biergarten hält.
Wer aus dem Hauptbahnhof kommt und in die Stadt zum Einkaufen will hat zwei Möglichkeiten. Man kann die Tram nehmen, die fährt dann einen großen Bogen über die Fünffensterstraße. Nomen ist Omen? Oder man läuft die Treppenstraße hinunter, wobei die wie der Name schon sagt alles andere als barrierearm ist. Die Warnschilder haben wohl ihren Grund.
Man kommt unten nach einer Anzahl Springbrunnen, Blumenbeete und Außengastronomie am Friedrichsplatz heraus, und damit in der Mitte zwischen Rathaus und Stern, die beide die Haupteinkaufsstraße begrenzen. Die Anschrift an der Tram Linie 6 ist lautmalerisch tiefgründig, steht da doch „6 am Stern“. Eine Aufforderung? Die an die gleichnamige Düsseldorfer Touristenfalle erinnernde Königsstraße ist zweigeteilt, es gibt eine obere und eine untere. Das Zentrum ist der Königsplatz, und alles wird von Läden aller Art gesäumt. Mittendurch fährt die Straßenbahn, wobei man die Regiotram eigentlich nicht mehr Straßenbahn nennen sollte. Es ist eine Eisenbahn für die Innenstadt, die da eben so noch durch passt. Abgeguckt hat man sich das Ganze am Karlsruher Modell, wo ebenso eine Art S-Bahn tief in die Region hinein fährt, aber ebenso als Straßenbahn die Innenstadt bedient. Die Züge sind mehrsystemfähig, fährt die Tram doch mit wenigen hundert Volt Spannung, während die Fernbahn 15kV im Draht hat, und der Abschnitt nach Wolfhagen hat noch gar keinen Fahrdraht. Das sind eindrucksvolle Szenen, wenn die RT4 im Tiefparterre des Bahnhofs aus der Innenstadt elektrisch ankommen, den Dieselgenerator anwerfen, den Stromabnehmer senken und dann laut brüllend aus der Stadt hinaus fahren. Straßenbahn mit Auspuff. Der Zug fährt immer noch elektrisch, es ändert sich nur die „Steckdose“.
Am Druselplatz gleich um die Ecke wartet nicht nur der mittelalterliche Druselturm, sondern nicht weit entfernt die Ruine der Garnisonskirche, darin befindet sich heute ein Wirtshaus. Die Fenster sind zugenagelt, Luftbilder zeigen darin Sonnenschirme. Es erinnert von der Szenerie her an Willingen, wo heute in der Kirche Don Camillo logiert und Schnaps ausschenkt.
Am nördlichen Ende des Friedrichsplatzes wartet nicht nur das Museum Fridericianum, sondern eben auch der Zwehrenturm. Unten ein altes Stadttor steht oben drauf ein Laser, der Nachts grüne Strahlen in den Himmel schickt. Alles Reminiszenzen an diverse Documenta-Projekte, deren Ausstellungshalle auf der anderen Straßenseite einen Platz prägt, der öfter mal einen Gärtner sehen könnte. Derzeit sieht er so aus wie ein lange unbestellter Acker.
An der zentralen Achse, der Wilhelmshöher Allee, liegt der eigentliche Fernbahnhof von Kassel. Er hat sich in Anlehnung an das Schloß Wilhelmshöhe, das unterhalb des Bergparks liegt, den volkstümlichen Namen „Palast der tausend Winde“ erworben. In der Säulenhalle, die die Tramhaltestelle überdacht, zieht es eigentlich ständig.
Der Stadtteil Wilhelmshöhe mit dem Ensemble aus Bergpark, Schloß und Herkulesmonument ist ein eigenes tagesfüllendes Thema. Dafür braucht man Zeit und teilt es am besten auf zwei Besuche auf. An Tagen, an denen Wasserspiele stattfinden, ist das Areal oft so überlaufen dass man sich für den Besuch ruhigere Zeiten suchen sollte. Im Herbst, wenn die Bäume ihre Blätter bunt färben, dürfte der Park wunderbar aussehen. Bei schlechtem Wetter ist die Fernsicht von oben auf die Stadt gewöhnlich eingeschränkt. Es lohnt sich, sich hier vorher zu erkundigen.