Deutschland, dein ÖPNV!

Foto: Symbolbild
Die letzte Woche mit dem 9-Euro-Ticket steht bevor, und es wird Zeit ein Fazit zu ziehen. Dabei wurde diese (stark rabattierte) Fahrkarte als Entlastungsmassnahme von der Bundesregierung erfunden, sie offenbarte jedoch eher die zahlreichen Mängel und Probleme im deutschen ÖPNV.

Viele beklagen überfüllte Züge. Mir ist dabei eher eine unkoordinierte Bautätigkeit in Erinnerung geblieben, die eine effektive Nutzung der Bahn zum Pendeln grundsätzlich vergällte.

Es ist nicht so, dass das Ticket die überfüllten Züge begründet hätte. Die traten bei uns eher dann auf wenn davor Takte ausgefallen waren. Die Anzahl derer, die da plötzlich meinten am Wochenende mit dem Nahverkehr von Garmisch an die Ostsee fahren zu müssen, ist im Vergleich relativ gering. Auffälliger sind da schon andere Zahlen, die in der Presse lediglich unter „andere Meldungen“ auftauchten. So sollen dieser Statistik nach rund 60.000 Menschen jeweils nach Frankfurt oder Offenbach einpendeln und eine ebensolche Anzahl Personen täglich da hinaus. In Wahrheit dürfte es das Mehrfache dessen sein. Aber selbst diese Zahlen belegen dass der derzeitige ÖPNV garnicht dafür eingerichtet ist, solchen Ansturm zu bewältigen.

Offenbach hat keine Straßenbahn mehr, die wurde aus politischen Gründen vor langer Zeit abgeschafft. Die in Frankfurt ist auch nur noch ein Überbleibsel vergangener Zeiten und auch zusammen mit einem recht grobmaschigen U- und S-Bahnnetz kaum in der Lage solche Mengen zu bewältigen. In anderen Städten dürfte das kaum besser aussehen. Der Straßenbahnbetrieb in Darmstadt ist, ebenfalls wegen Bautätigkeit, in der Ferienzeit nur noch ein Notbetrieb. Der fast komplette Norden und Osten der Stadt ist derzeit so nicht wirklich erreichbar, genau da aber liegen die Industriezentren. Man meint da halt in den Schulferien fahren auch die Arbeiter nicht. Demnächst beginnen dort auch noch – auf Jahre – Bauarbeiten an der Rheinstraßenbrücke, womit dann gar keine Bahn mehr aus Westen in die Stadt durchkommt und die Ersatzbusse im künstlichen Dauerstau stecken bleiben werden wenn der ganze Verkehr von der Autobahn kommend über die kleine Umleitung fahren muss. Das dürfte „heiter“ werden! Aus drei Spuren stadteinwärts macht man da eine.
Wo habt ihr das denn her?

In einen Bus passen 50 Leute, und es fährt in der Regel einer in 15 Minuten, einer halben Stunde oder gar nur stündlich. Auf manchen Linien nicht mal das. Jeder rechne sich das mal selber aus wieviel Leute man so von 6 bis 9 Uhr selbst mit gleitender Arbeitszeit transportieren kann. Die überwiegende Masse fährt also Auto. Daran ändert auch kein Spritpreisrabatt irgendetwas, zumal der ja selber in diesen Tagen ausläuft. Alleine die Mengenverhältnisse lassen schon im Speckgürtel der Städte garnichts anderes zu, vom flachen Land will ich da garnicht erst reden. Es offenbart die Inkompetenz der Verantwortlichen, die nichts anderes können als Sonntagsreden!

Während der Pandemie wurden wir aufgefordert, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden. Für Pendler blieb da also nur noch das Auto, um zur Arbeit zu kommen. Dafür hat man intelligenterweise das Benzin unter Ausflüchten erst mal schön teuer gemacht, damit auch die Staatskasse was davon hat. Wir wissen ja, zwei Drittel und mehr der Tankstellenpreise sind Steuern! Ich habe vorstehend ausgeführt warum unter den gegebenen Umständen das Auto die Hauptlast der Pendlerströme tragen muss und sich daran auch beim besten Willen aller Beteiligter erstmal nichts ändern kann.

Nun kam da dieses Ticket, und konterkarierte die Bemühungen des Finanzministers, an billiges Geld zu kommen. Das ist natürlich purer Zynismus. Billig dahingehend dass man in den Plüschetagen der Büros zugleich die Präsenzpflicht neu entdeckte, nachdem es zwei Jahre lang weitgehend mit Homeoffice sehr gut ging.

Ihr Heuchler!

Selbst die, die „willig“ waren und ihr Auto stehen lassen wollten, wie dieselbe Regierung es gewünscht hat um in den letzten Wochen Treibstoff zu sparen, erfuhren was es heisst wenn jahrelang die Gleisanlagen verrotteten und man plötzlich nach dem Unglück von Oberau merkte dass da was nicht stimmt … und infolge dessen massenweise Strecken gesperrt und Ersatzverkehre eingerichtet wurden. Eingerichtet mit Bussen, die es garnicht mehr gibt, denn die Fuhrunternehmen halten die ja nicht samt Fahrer auf Halde vor, es könnte Bedarf geben. Seit der „Regionalisierung“ des öffentlichen Personennahverkehrs gibt es nur noch genau so viel oder wenig, wie die Aufgabenträger bestellt haben, was man schon daran sieht dass Wagen ersatzlos ausfallen sobald auch nur irgendwas ausserplanmäßig defekt geht.

Das gibt man in den hohen Kreisen so natürlich nicht zu. Da sind die „Lustreisenden“ für die Probleme verantwortlich, und man verfällt darauf die Fahrradmitnahme heranzuziehen um zu kaschieren dass man selbst den Umstieg auf das Rad statt dem Auto gewünscht hat! Es ist pure Theorie, mit dem eigenen Rad zum Bahnhof zu fahren, dort den Zug zu nehmen, um am Ziel die letzten Kilometer mit einem Leihrad zu bewältigen. Die dafür nötigen Angebote sind weder existent noch in der Summe erschwinglich. Damit bleibt denen, die sich darauf eingelassen haben, nur, ihr eigenes Rad mit in den Zug zu nehmen, was von dessen Ausgestaltung her garnicht möglich ist. Was sind vielleicht zehn Stellplätze in einem durchschnittlichen Nahverkehrszug bei etlichen hundert Fahrgästen darin insgesamt? Ein Tropfen auf dem heißen Stein! Man kann kaum davon ausgehen dass das so in der Praxis funktioniert.

Natürlich, auf dem Papier gibt es solche Möglichkeiten. Das müssen die Verkehrsunternehmen aber auch wollen, und man merkt sehr schnell wie es damit bestellt ist, womit wir wieder am Anfang und bei den Ersatzverkehren wären! Darin sind Fahrradmitnahmen nämlich ausgeschlossen, womit in Zeiten etlicher Großbaustellen das ganze Konstrukt ad absurdum geführt wird. Die Radwege, von denen die Poitik täglich schwafelt, gibt es ja ebenso (bislang) nicht.

Was machen die Leute? Sie steigen wieder in ihr Auto, denn das fährt wann und wohin die Leute wollen, fällt nicht andauernd ersatzlos aus und kommt regelmäßig auch nicht mehr zu spät als die Fahrer wollen, denn man kann damit auch Staus umfahren. Die treten zwar regelmäßig auf, tun das aber gerne an immer denselben Stellen und zu weitgehend der gleichen Uhrzeit und sind somit zumindest in den Einfallschneisen der Großstädte vorhersehbar. Man kann sich also danach einrichten.

Nicht einzurichten vermag sich der Normalverbraucher hingegen auf die Unzuverlässigkeit der Bahn, womit ich nicht nur die roten Brummer des bekannten Konzerns meine. Da viele dieser Probleme an der Infrastruktur liegen, also an den Schienen, ist auch der Betrieb an sich auf eben jene angewiesen. Hinzu kommt, dass die Regionalzüge zunehmend wegen Überholungen in die Ausweichen müssen und damit haufenweise Verspätungen ansammeln, was wiederum Anschlüsse gefährdet und damit das zeitgerechte Erscheinen am Arbeitsplatz.
Kommt er, oder kommt er nicht? Das ist in unserer Region mehr denn je die große Frage. Und fährt er auch durch? Die bereits erwähnten Baustellen besorgen hier ein stetiges Überraschungspotential. So kann es durchaus passieren dass ein Zug, der für Frankfurt Hauptbahnhof angekündigt war nur bis zum Stadion fährt. Man kann da ja auf andere S-Bahnlinien umsteigen. Wer so redet vergisst geflissentlich die geradezu stadtbekannten Störungen auf der Flughafenlinie S8/S9, die ebenso gerne ausfallen wie im Kalender Feiertage auf Sonntag fallen, nämlich oft. Das ist also keine Ausweiche, eher ein Alibi.

Wo wird denn derzeit in der Region so überall gebaut? Es gibt nicht viele Strecken, auf denen es normal läuft!
Die Stammstrecke der U-Bahn nach Norden ist unterbrochen. Da die Mainweserbahn ausgebaut wird führt der Weg von Frankfurt nach Gießen schon mal via Hanau. Die S6 fährt darum auch nicht. Das ist ähnlich wie eine Fahrt vom Ruhrpott nach München über Berlin.
Auch der südliche Zulauf, sprich der Stadionbahnhof, wird neu geordnet, was eben hier zu den erwähnten Ausfällen führt. Man kommt zum Hauptbahnhof also nur per Reise nach Jerusalem. Viele Züge fahren daher nur ab dem oder über den Südbahnhof, was denen, die in die Stadt wollen, aber wenig hilft. Um da hin oder von da weiter zu kommen braucht es Ortskenntnisse. Die hat ein Ortsfremder eher nicht.

In den kommenden Tagen findet die Deutschland-Tour statt, und ein Besuch dort ist für Radsportanhänger sozusagen Pflichtprogramm, fallen dieses Jahr die Orte doch so dass es zumindest auf dem Papier durchaus möglich wäre, ohne Auto da hin zu kommen.
Auf dem Papier, sicher, denn in der Praxis tun sich Abgründe auf! Schaut man in die Fahrplanauskunft merkt man rasch, wie wenig die Bahn auf Andrang ausgerichtet ist! „Wir rechnen mit hoher Auslastung, bitte wählen Sie einen anderen Zug!“ Nun werden hier die Zeitpläne von Dritten bestimmt, man kann also kaum frei wählen wann man fahren möchte. Die Transportkapazität dafür ist offenbar nicht vorhanden. Zudem sind die Strecken da hin ebenfalls Baustellen und derzeit nur eingeschränkt oder garnicht befahrbar. Die Schwarzwaldbahn ist gesperrt, vor Schiltach eine Baustelle, die Strecke unterbrochen, und der Ersatzverkehr schon bei Normalbetrieb kaum in der Lage die Anzahl an Fahrwünschen zu bewältigen. Am Beispiel Schiltach sieht man auch gut, wie bei Veranstaltungen verfahren wird. Statt die Leute da hin zu bringen leitet man den Bus großräumig darum herum. Das ist also kaum nutzbar. Die elektronischen Stellwerke, gerade erst neu gebaut, fallen den Verlautbarungen nach öfter aus als dass sie zuverlässig in Betrieb wären, womit dann erst mal stundenlang garnichts mehr fährt. Das bemerkt der in Sachen Bahn Ungeübte natürlich erst wenn er in die Falle getappt ist und im Nirwana steht ohne Aussicht auf baldige Weiterreise. So kann man natürlich keine Termine halten, aber das interessiert die Verantwortlichen nicht.

Unserer Regierung sind diese Dinge lange bekannt! Statt ihnen aber abzuhelfen bekommt man als Normalfahrgast stets nur was vom „Wegerisiko“ zu hören, will heißen man sei daran auch noch selber schuld. Dazu will ich eins ganz klar sagen: Die Möglichkeit zur Einflussnahme hört für alle Normalverbraucher da auf, dass sie zeitgerecht an der Abgangshaltestelle eintreffen. Auf den Betrieb haben sie absolut keinen wirklichen Einfluss. Man kann so schnell wie möglich ein- oder aussteigen. Aber man kann nicht beeinflussen dass die Züge zu wenig Türen haben, dass es wegen Mängeln am Gleis massig Langsamfahrstellen gibt, dass es Umleitungen gibt, dass Züge ausfallen weil die Fahrer nicht da sind. Das alles geht auf die Kappe der Planungsebene, die es unterlassen hat rechtzeitig gegenzusteuern. Die Züge dürfen nicht länger sein als der kürzeste Bahnsteig auf der Strecke? Ihr selbst habt die absägen lassen! Also hört mir bitte auf mit eurem Wegerisiko, und daran wird sich auch nichts ändern wenn die Monatskarten wieder das Zigfache kosten!

Es gab genau eine Erkenntnis aus diesem Ticket, die bleiben wird: ein Nahverkehr, den man nutzen kann ohne über Tarifgrenzen nachzudenken, eine Fahrkarte die gilt egal in welche fremde Stadt man kommt – das ist attraktiv und wird angenommen. Über den Preis zu reden wäre ein anderes Thema solange die dafür nötigen Kapazitäten nicht da sind. Ein Zurück zum altbekannten Kleinklein der Verkehrsverbünde bringt uns da nicht weiter.